Tu BeAw: Der vergessene Freudentag im jüdischen Kalender 💕
- Maamin
- 27. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 3 Tagen
Die Wurzeln dieses außergewöhnlichen Tages
Wenn am Himmel des Monats Aw der Vollmond aufgeht — genau sechs Tage nach dem düsteren Tischa BeAw — verwandelt sich die Trauer in überraschende Heiterkeit. Tu BeAw, der 15. Aw, ist heute für viele kaum mehr als eine Fußnote im Kalender, falls der Tag überhaupt im Kalender gedruckt ist. Doch einst gehörte er zu den wenigen Tagen, die das ganze Volk in ausgelassene Stimmung versetzten.
Die Mischna (Traktat Taʿanit) überliefert die bemerkenswerte Aussage von Rabbi Schimon ben Gamliel: „Es gab keine besseren Festtage für Israel als den 15. Aw und Jom Kippur.“ Weitere Quellen beschreiben, dass der Tu BeAw und Jom Kippur die zwei fröhlichsten Tage des Jahres im alten Israel waren. Das überrascht zunächst — wie konnte ein solch großer Freudentag über die Jahrtausende so in Vergessenheit geraten? Ist er nicht. Nur ein bisschen.
Romanzen in den Weinbergen
Die Mischna zeichnet ein sehr lebendiges Bild des alten Tu BeAw: Die Töchter Jerusalems strömten hinaus in die Weinberge, alle in weißen Kleidern, tanzten zwischen den Rebstöcken und warteten darauf, dass junge Männer sie für die Heirat auswählten. Ein Detail: Die Kleider waren ausgeliehen — niemand trug sein eigenes Festgewand. Selbst die Tochter des Hohenpriesters nahm ein geliehenes Kleid an, damit keine Frau beschämt würde, die kein prächtiges Gewand besaß. Die jungen Männer wählten die Mädchen nicht nach Stand oder Status aus.
An Tu BeAw galt für einen Tag eine radikale Form der Gleichheit: Status, Geld oder Familienstand sollten nicht über Liebe oder Heirat entscheiden. Schönheit und Charakter spielten eine Rolle, ja — aber nicht die Pracht der Kleidung oder die Zugehörigkeit. Und die Dialoge, die die Mischna überliefert (etwa: „Erhebe deine Augen und sieh genau, wen du dir erwählst!“), klingen nah und besonnen. Diese Tradition sicherte den Fortbestand des Volkes.
Sechs Gründe zur Freude: historische Meilensteine
Der Talmud legt noch eine Schicht drauf: An Tu BeAw fanden mehrere bedeutende Ereignisse der jüdischen Geschichte statt — sechs, so erzählt man — und jedes von ihnen verleiht dem Tag ein enormes Gewicht.
Aufhebung des Stammesverbots bei Eheschließungen. Nach der Episode der Töchter Zelofchads wurde verfügt, dass Frauen, die Land erbten, nur innerhalb ihres eigenen Stammes heiraten durften, damit das Erbe nicht zu einem anderen Stamm wanderte. Diese Beschränkung wurde an Tu BeAw aufgehoben, und plötzlich konnten sich alle zwölf Stämme Israels frei vermischen. Die Einheit des Volkes wurde gestärkt, Liebe konnte über Stammesgrenzen hinweg blühen.
Wiedereingliederung Benjamins. Ähnlich bedeutsam war die Wiederaufnahme des Stammes Benjamin in die Gemeinschaft Israels. Nach der schrecklichen Geschichte der Nebenfrau in Gibea hatte das Volk geschworen, seine Töchter niemals an Männer aus Benjamin zu verheiraten. Als dieser Bann an Tu BeAw aufgehoben wurde, war die Versöhnung vollständig und die zwölf Stämme wieder vereint. Tu BeAw wurde durch diese Begebenheit zum Sinnbild der nationalen Versöhnung.
Ende des Sterbens in der Wüste. Besonders bewegend ist die Überlieferung über das Ende des Sterbens in der Wüste. Die Generation, die aus Ägypten ausgezogen war, musste wegen der Sünde der Kundschafter vierzig Jahre in der Wüste wandern. Jedes Jahr am 9. Aw starben Tausende, bis die schuldige Generation vergangen war. Im vierzigsten Jahr warteten alle angstvoll, doch niemand starb. Erst am 15. Aw, beim vollen Mond, waren sie sicher: Das göttliche Dekret war aufgehoben, die neue Generation durfte ins Gelobte Land einziehen.
Freie Pilgerfahrten in die Zeit des ersten Tempels. König Hoschea entfernte die Kontrollen, die König Jerobeam zuvor gesetzt hatte; die Menschen konnten wieder zum Tempel kommen und Gaben für die Opfer bringen.
Beerdigung der Gefallenen von Beitar. Nach dem Bar-Kochba-Aufstand lagen die Leichen der Gefallenen von Beitar jahrelang unbegraben - die Römer verboten aus Grausamkeit ihre Bestattung. An Tu BeAw kam endlich die Erlaubnis, und wundersamerweise waren die Körper nicht verwest. Dieses Wunder führte zur Einführung der vierten Segnung im Tischgebet: "Der Gute, der Gutes tut."
Beginn Holzpause für den Tempel. Schließlich markiert Tu BeAw auch einen Wendepunkt im religiösen Jahr. Ab diesem Tag wurde kein Holz mehr für den Tempel geschlagen, da die schwächer werdende Sommersonne das Holz nicht mehr ausreichend trocknen konnte. Dies bedeutete längere Abende und mehr Zeit für das Torastudium. Der Talmud verheißt demjenigen, der ab Tu BeAw vermehrt lernt, ein längeres Leben.
Ja, das ist eine Menge an glücklichen Wendungen für einen einzigen Tag — und doch ergänzen sie sich: Versöhnung, Ende von Strafe, Wiederannäherung an den Tempel, praktische Regelungen fürs religiöse Leben.
Vollmond, Kabbala und die mystische Ebene
Auch die Mystik knüpft an Tu BeAw eine starke Symbolik. Der volle Mond steht hier nicht nur astronomisch für Licht nach Dunkelheit, sondern mystisch für eine erneute Offenbarung göttlichen Lichts. Nach der Dunkelheit von Tischa be-Aw, wenn der Mond kaum sichtbar ist, erscheint er am 15. Aw in voller Pracht — ein Bild für Neubeginn.
Der Arizal (Isaak Luria) und andere Kabbalisten sehen in diesem Zeitpunkt das langsame Heilen der geistigen Gefäße, die am 9. Aw zerbrochen wurden. Tu BeAw ist so ein Wendepunkt: weniger noch ein Ende als ein Anfang.
Die Gematria, die mystische Zahlenlehre des Judentums, findet weitere Geheimnisse in Tu BeAw. Der numerische Wert von Tu (ט״ו) ist fünfzehn, was den fünfzehn Stufen entspricht, die zum Tempel hinaufführten, und den fünfzehn Wallfahrtsliedern in den Psalmen. Diese Zahl repräsentiert auch die Vereinigung des göttlichen Namens, denn Jud (10) plus Heh (5) ergeben fünfzehn. An Tu BeAw vereinigen sich die männlichen und weiblichen Aspekte der Gottheit in perfekter Harmonie.
Wandel nach der Tempelzerstörung
Mit der Zerstörung des Tempels verlor Tu BeAw seine physische Kulisse: keine Weinberge, keine ausgelassenen Tänze um den Altar. Die rabbinische Reaktion war typisch: statt Prozessionen und Feste kam das Studium. Die Freude wurde nach innen verlagert — man feierte durch Lernen und Gemeinschaft.
In der Diaspora gingen die Bräuche auseinander. In vielen sefardischen Gemeinschaften blieb Tu BeAw ein beliebter Tag für Verlobungen; in Marokko oder Syrien verabredete man sich mit Schidduchim (Heiratsvermittler halfen Dates zu organisieren), besprach das Heiraten, besuchte manchmal Gräber der Gerechten. Aschkenasische Gemeinden markierten den Tag meist schlicht durch das Auslassen des Tachanun — eine Art kleines Aufatmen im Gebetsrhythmus.
Halachische Notizen
Tu BeAw wurde nie zu einem offiziellen Feiertag, und doch hat er einen festen Platz in der Praxis: Der Schulchan Aruch erwähnt ihn; man lässt Tachanun weg. Fasten ist an diesem Tag nicht erlaubt, nicht einmal bei einem persönlichen Gelübde — und üblicherweise rät man, Hochzeiten auf Tu BeAw zu legen, weil der Tag Glück verheißt.
Eine Botschaft der Einheit
Der Tu BeAw bedeutet Liebe, aber nicht nur. Er steht für Einheit: zwischen Stämmen, zwischen Menschen, zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft. Die weißen Kleider sind eine starke visuelle Metapher — Reinheit, Gleichheit, das Zusammenkommen aller Farben in einem Ton.
Die Mischna bringt Tu BeAw und Jom Kippur zusammen — und das ist kein Zufall. Beide Tage sprechen von Versöhnung; Jom Kippur ist die vertikale Versöhnung mit dem Ewigen, Tu BeAw die horizontale Versöhnung zwischen Menschen. Zusammen bilden sie ein Gerüst aus Reue und Annäherung anneinander.
Die rabbinische Lehre, wonach die Zerstörung des Tempels auf grundlose Feindschaft zurückzuführen ist, macht Tu BeAw zur praktischen Gegengabe: Liebe und Einheit sind die Medizin gegen Zerbrochenheit. Jede Feier, jeder Moment des Zusammenseins ist so ein kleiner Baustein hin zur endgültigen Heilung des Volkes und des Einzelnen.
Übergang zum Monat Elul und persönliche Vorbereitung
Tu BeAw liegt zwei Wochen vor dem Monat Elul — jener Zeit, in der man sich auf die Hohen Herbstfeiertage einstimmt. Und genau das ist wichtig: die Vorbereitung soll nicht aus Angst erfolgen, sondern aus Liebe, zu sich selbst, zum Nächsten und zum Ewigen. Ein paar Wochen vorher tanzt oder freut man sich — und geht dann mit offenem Herz in die ernste seelische Arbeit der Umkehr.
Der Baal Schem Tov sagte einst bildhaft: Im Monat Aw ist der König noch schwer erreichbar; an Tu BeAw beginnt er, seinen Palast zu verlassen. Zwei Wochen später ist er schon "im Feld" — erreichbar für jeden, der ihn sucht. Es ist eine schöne Metapher für die Öffnung des Himmels, der den Menschen empfängt und Erneuerung schenkt.
Ein Tag, der wiederbelebt werden kann
Der Tu BeAw mag heute nicht mehr in altem Glanz mit Tänzen in Weinbergen gefeiert werden, doch seine Botschaft ist lebendig und eigentlich zeitlos: Nach tiefster Trauer kehrt Licht zurück; nach Spaltung kann Einheit wachsen. Die Tradition der ausgeliehenen weißen Kleider erinnert uns daran, dass wahre Würde nicht von Besitz und Stand abhängt.
Wenn Gemeinden heute wieder bewusst Tu BeAw begehen — sei es mit Festen, Verlobungen, gemeinsamen Mahlzeiten oder intensiviertem Lernen — dann beleben sie eine alte Praxis, die genau das leisten wollte, was unsere Zeit so dringend braucht: Zusammenhalt, Hoffnung und die Kunst, inneren Reichtum über äußere Erscheinung zu stellen.
Möge die alte Freude der Nacht von Tu BeAw in unseren Gemeinden neu aufflammen, mögen wir das Prinzip der Einheit leben, über Strömungen hinweg und mögen die Tänze und Freudenmusik in den Weinbergen Jerusalems eines Tages wieder erklingen, mit uns allen als Teilnehmer 💕

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